3. (8.) Parteitag der Kommunistische Partei Deutschlands |
Leitsätze zur Taktik |
1. Februar 1923 |
Quelle: Zentrale der KPD (Hg.): Bericht über den 3. (8.) Parteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands (Sektion der Kommunistischen Internationale) vom 28. Januar bis 1. Februar 1923. Berlin, 1923, S. 415 434. (Der vorliegende Text wurde von diesem Parteitag angenommen.) Abgedruckt in: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED (Hg.): Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung – Reihe 2 – Band 7 – Februar 1919 Dezember 1923 – Halbband 2 – Januar 1922 Dezember 1923. Berlin, Dietz, 1966, S. 246 255. [1]. [Wir geben diesen texte mit Zustimmung des für die Site 321ignition.free.fr Verantwortlichen wieder.] |
I. Die Einheitsfronttaktik
Der Kampf um die Macht der Arbeiterklasse kann nur als Massenkampf, als Kampf der Mehrheit der Arbeiterklasse gegen die Herrschaft der kapitalistischen Minderheit siegreich geführt werden. Die Eroberung der Mehrheit des Proletariats für den Kampf um den Kommunismus ist die wichtigste Aufgabe der Kommunistischen Partei.
Der Kampf um die Einheitsfront für den Klassenkampf beginnt mit der Sammlung und Organisierung des revolutionären Vortrupps in der Kommunistischen Partei. In dem Maße, in dem der Kapitalismus unter den Folgen seiner Verfallskrise den Kampf zur Sicherung der Existenz des Proletariats innerhalb des kapitalistischen Staates unmöglich macht, trennen sich die Arbeitermassen von den reformistischen Organisationen. In diesem Prozeß entstehen unter Schwankungen, Siegen und Niederlagen die kommunistischen Massenparteien, die im Feuer des Kampfes zur Führerin der sozialen Revolution der Arbeiterklasse werden.
Schon in der Periode der ökonomischen Kämpfe zur Sicherung ihrer Existenz innerhalb der kapitalistischen Ordnung erwies sich der organisierte Massenkampf als einziger Weg für die proletarische Klasse. Der Kampf um die politische Macht erwächst aus sich steigernden, zugespitzten Massenkämpfen der arbeitenden Schichten gegen die Verelendung, gegen Teuerung, Steuerdruck usw., die durch militärischen und sonstigen Widerstand der Bourgeoisie zu politischen Machtkämpfen werden und schließlich zum Sturze der kapitalistischen Herrschaft führen. Die Kommunistische Partei muß überall dabeisein, wo das Proletariat in Bewegung gerät und kämpft. Im Kampfe muß die Partei alles versuchen, um die Bewegung in die richtigen Bahnen zu lenken. Sie muß einzelnen, isolierten Kämpfen durch Zuführung neuer breiter Massen Hilfe leisten wie auch die in Verkennung der Situation oder der Kräfteverhältnisse völlig isolierten, zu weit vorgedrungenen Schichten zum geordneten Rückzug führen. Die Kommunistische Partei, selbst ein Teil der Masse, ihre Vorhut, hat kein anderes Ziel als das Klassenziel des Proletariats, die Eroberung der politischen Macht. Sie muß sich durch klare Beurteilung der Lage und der Kräfteverhältnisse, durch feste und zielbewußte Führung, durch Entschlossenheit, Opferwillen und Kampfesmut das Vertrauen der breiten Masse erwerben. Dieses Vertrauen erwirbt sich die Kommunistische Partei nicht nur in revolutionären Massenaktionen der Proletarier, sondern vor allem in der zähen und systematischen Tagesarbeit in allen proletarischen Organisationen (Gewerkschaften, Genossenschaften, Mieterorganisationen usw.). Bei dieser Arbeit müssen es die Kommunisten verstehen, in den kleinen und großen Nöten des Tages tapferste Kämpfer und Wegweiser der Proletarier zu sein. Dadurch breiten die Kommunisten den um die Partei gelagerten Gürtel sympathisierender Schichten immer weiter aus.
Das größte Hindernis der Entwicklung der Einheitsfront des kämpfenden Proletariats ist der Einfluß der reformistischen sozialdemokratischen Führer. Statt ihren ganzen Einfluß zur Bildung der proletarischen Einheitsfront gegen die Bourgeoisie einzusetzen, fesseln sie durch ihre Politik des Burgfriedens mit der Bourgeoisie (Koalitionspolitik, Arbeitsgemeinschaft mit dem Unternehmertum, nationale Einheitsfront) große Teile des Proletariats an die kapitalistische Politik und verhindern sogar jeden ernsten Abwehrkampf der Arbeitermassen, weil diese Kämpfe in der Periode des verfallenden Kapitalismus die Herrschaft der Bourgeoisie bedrohen. So ist der Kampf um die Einheitsfront gegenwärtig in bedeutendem Maße ein Kampf um die Loslösung der Massen von der reformistischen Taktik und Führung. Die proletarische Einheitsfront wird in den Abwehrkämpfen der Arbeiterklasse entstehen trotz der Sabotage und des Widerstandes der reformistischen Führer, da immer stärker werdende Schichten auch der sozialdemokratischen Arbeiter in diese Kämpfe mit eintreten. Die Einheitsfront wird praktisch hergestellt durch die gemeinsame Abwehr der Offensive des Kapitals durch die Arbeiter. Im Verlaufe dieser Kämpfe erweist sich die kommunistische Taktik der Taktik der Reformisten überlegen. Die Sozialdemokratie wird zermürbt. Die Kommunisten gewinnen die Sympathie und das Vertrauen der Massen, der Frauen und der Männer, und die Kommunistische Partei wird im Verlaufe dieser Abwehr- und Offensivkämpfe zur unbestrittenen Führerin der Arbeiterklasse.
Die Taktik der Einheitsfront ist kein Manöver zur Entlarvung der Reformisten. Die Entlarvung der Reformisten ist umgekehrt ein Mittel zur Herstellung der einheitlich geschlossenen Kampfesfront des Proletariats. Die Kommunisten sind in jeder Stunde bereit, mit allen Proletariern und allen proletarischen Organisationen und Parteien den Kampf für die Interessen des Proletariats zu führen. Die Kommunistische Partei muß sich deshalb in jeder ernsten Situation sowohl an die Massen wie auch an die Spitzen aller proletarischen Organisationen mit der Aufforderung zum gemeinsamen Kampf zur Bildung der proletarischen Einheitsfront wenden. Die Auffassung, als sei die Herstellung der Einheitsfront möglich nur durch den Appell an die Massen zum Kampf (nur "von unten") oder nur durch Verhandeln mit den Spitzenkörperschaften (nur "von oben"), ist undialektisch und starr. Die Einheitsfront wird sich vielmehr entwickeln im lebendigen Prozeß des Klassenkampfes und des Erwachens des Klassenbewußtseins und des Willens zum Kampf bei immer stärker werdenden Schichten des Proletariats.
Durch den tatkräftigen Tageskampf gegen die Not der Arbeiterklasse werden auch die durch den Verrat der sozialdemokratischen Führer passiv gewordenen Teile der Arbeiterschaft von neuem für den proletarischen Klassenkampf gewonnen.
Der Kampf um die Einheitsfront führt zur Eroberung der alten proletarischen Massenorganisationen (Gewerkschaften, Genossenschaften usw.). Er verwandelt diese durch die Taktik der Reformisten zu Werkzeugen der Bourgeoisie gewordenen Organe der Arbeiterschaft wieder in Organe des proletarischen Klassenkampfes, der in der jetzigen Periode nur als Kampf zur Niederwerfung der Bourgeoisie geführt werden kann.
Neben der Eroberung dieser alten Organisationen muß die proletarische Einheitsfront zur Durchführung ihrer Ziele auch neue Organe schaffen, die die ganze Klasse erfassen (Betriebsräte, Kontrollausschüsse, politische Arbeiterräte). Nur die ganze Klasse, organisiert in den politischen Räten der Arbeiter, Angestellten, Beamten und Kleinbauern und in den Betriebsräten, vermag die ganze Macht der ausgebeuteten Klasse als einheitliche Kampffront der Bourgeoisie gegenüberstellen, um mit diktatorischer Gewalt alle Widerstände der Gegenrevolution niederzuschlagen. Die in den politischen Arbeiterräten organisierte revolutionäre Einheitsfront zum Sturz der Bourgeoisie kann nicht am Anfang, sondern erst am Ende des Kampfes der Eroberung der Massen für den Kommunismus stehen.
In der gegenwärtigen Lage Deutschlands ist die Betriebsrätebewegung der erste Schritt zur Sammlung und Organisierung der zum revolutionären Klassenkampf bereiten Massen. In den nach den Richtlinien des Reichsbetriebsrätekongresses zusammengefaßten Betriebsräten und Kontrollausschüssen hat die deutsche Einheitsfrontbewegung sich bereits eigene Organe geschaffen, mit denen elementare Massenbewegungen erfaßt und ohne und gegen den Willen der sabotierenden Gewerkschafts- und SPD -Bürokratie geführt werden können.
Die Versuche der reformistischen Führer, die werdende revolutionäre Einheitsfront durch die Spaltung der Gewerkschaften zu zerschlagen, scheitern an der zunehmenden Kraft und dem wachsenden Einheitswillen der proletarischen Massen, der durch die Kommunistische Partei und die Betriebsrätebewegung geweckt und gefördert wird. Die Zusammenfassung der Teillosungen der Einheitsfront (Erfassung der Sachwerte, Zwangsanleihe, Schutz des Achtstundentages, Arbeiterwehren usw.) ist die Forderung der Arbeiterregierung.
II. Die rechten und die linken Abweichungen
In der Periode der langwierigen Kämpfe der Entwicklung der Weltrevolution bei der Taktik der Einheitsfront und dem Kampfe um die Arbeiterregierung wird die Gefahr von opportunistischen und zentristischen Abschwenkungen in den Reihen der Kommunistischen Parteien verstärkt. Hinzu kommt, daß die Vertiefung und Schulung der Parteimitglieder nicht Schritt hält mit dem steigenden Einfluß der Kommunistischen Partei auf immer breitere Massen der Arbeiterschaft. Durch die vielen Kämpfe und Lehren, die die KPD in ihrem Entwicklungsprozeß durchgemacht hat, hat die Partei eine feste und klare kommunistische Taktik herausgearbeitet, die ihr in steigendem Maße das Vertrauen der Arbeiter zugeführt hat.
Diese Schwankungen sind besonders gefährlich in den Ländern, wo dank der zugespitzten internationalen Lage und der Wirtschaftskrise die Vorbereitungen der Kommunistischen Parteien zu ernsten Kämpfen ununterbrochen durchgeführt werden müssen.
Der Übergang von der Taktik der Offensive des Proletariats zu lang dauernden Defensivkämpfen, die durch die Offensive des Kapitals hervorgerufen wurden, hatte in Deutschland zur Folge, daß eine Anzahl Kommunisten, vor allem Intellektuelle und Parlamentarier, unter Aufstellung liquidatorischer Theorien zu den Reformisten übergingen. Das Ausscheiden dieser Elemente war nur von Nutzen für die Kampfkraft, Klärung und die weitere Entwicklung der KPD. Eine Reihe Genossen hat während der KAG-Krise[2] unter dem Druck der sozialdemokratischen Verleumdungen in der Frage der Märzaktion den ernsten Fehler begangen, von der Partei die Desavouierung einiger von der sozialdemokratischen Presse besonders stark bekämpfter Genossen zu verlangen.
Die Gesamtpartei ist so reif und gesund geworden, daß opportunistische Abweichungen nach rechts und nach links keine ernste Gefahr für die Partei bedeuten, weil sie rechtzeitig erkannt und schon im Keime überwunden werden. Die Partei muß diese opportunistischen Abweichungen sofort bei ihrem Auftreten rücksichtslos besprechen und auch energisch bekämpfen.
Die opportunistischen Tendenzen äußern sich:
1. in der Furcht vor einem klaren und scharfen politischen Auftreten in Einheitsfrontaktionen. Bei der Rathenaukampagne[3] zeigte die Partei nicht überall in genügendem Maße ihr eigenes politisches Gesicht (z. B. im Zentralorgan "Rote Fahne"). Die Berliner Organisation machte eine "stumme" Demonstration mit den Reformisten; die Leipziger Organisation verzichtete bei der Unterzeichnung eines gemeinsamen Aufrufes mit den Sozialdemokraten auf ihren eigenen Namen und ließ die Unterschrift zu: Die drei sozialistischen Parteien;
2. in der nicht genügenden Aktivität und Ausdauer der Funktionäre und der Furcht vor scharfen politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei;
3. in der nur auf die Verteidigung eingestellten Propaganda (nach der Märzaktion), der Furcht vor geschickten Manövern der VSPD[4];
4. in dem nicht genügend kommunistischen Auftreten mancher Gemeindevertreter der KPD in den Kommunalparlamenten und Ausschüssen sowie [der] Aufstellung gemeinsamer Listen mit der SPD bei Gemeindewahlen;
5. in der Furcht einzelner Gewerkschaften vor dem rücksichtslosen Kampf mit der reformistischen Bürokratie, besonders in der Betriebsrätebewegung;
6. in der Furcht einzelner kommunistischer Genossenschafter vor einem tatkräftigen gegen die Teuerung, weil nach ihrer Meinung durch den Teuerungskampf das Prinzip des Wiederbeschaffungspreises auch bei den Konsumgenossenschaften bedroht wird.
Der Opportunismus tritt aber häufig auch in linker Verkleidung auf. Die Linke versteht es nicht genügend, heranzutreten an die andersdenkenden, noch in demokratischen Illusionen befangenen Klassengenossen, um deren Tagesnöte zum Ausgangspunkt von Aktionen zu machen, die den gegebenen Kräfteverhältnissen entsprechen. Die linken Elemente haben bei der Ausarbeitung der politischen Linie der Partei in vielen Grundfragen der Taktik hemmend und verwirrend gewirkt. Sie stellten der Erfassung der Sach- und Goldwerte durch den Staat die halb inhaltslose, halb syndikalistische Parole der Erfassung der Sach- und Goldwerte von unten entgegen. In der Frage der Einheitsfront waren sie gegen das Berliner Abkommen[5] und sahen in ihm die Ursache der angeblich schwankenden Haltung der Partei, was die Durchführung der Taktik der Einheitsfront ernstlich hinderte. In der Frage der Arbeiterregierung waren sie anfangs dafür, behaupteten aber später, daß die Arbeiterregierung die Diktatur des Proletariats bedeute und nur nach der Eroberung der Macht seitens der Arbeiterschaft entstehen könnte. In der Programmfrage waren sie zunächst Gegner jeglicher Aufnahme der Übergangsforderungen in das Programm, stimmten später der Aufnahme dieser Forderungen zu, aber unter der Bedingung, daß der Bürgerkrieg in den Vordergrund geschoben werde. Sie sehen in der Entwicklung der taktischen Linie der Partei eine Quelle des Opportunismus, fürchten die Neue Ökonomische Politik Rußlands.
In der sächsischen Frage griffen die Linken ohne genügende Begründung die Taktik der Partei an und behaupteten im Widerspruch mit den Tatsachen, daß die Verhandlungen zur Bildung einer Arbeiterregierung in Sachsen[6] am Punkt 9 unserer Forderungen: alle Gesetze den Betriebsräten vorzulegen, gescheitert seien, während in Wirklichkeit die VSPD aus Furcht vor den kommenden Kämpfen keine einzige der Bedingungen der Kommunisten annehmen wollte.
Die Linken verdeckten teilweise die Passivität mit Phrasen, propagierten und beschönigten ein verschwommenes Linkssein, vertieften die teilweise auftretende Antiführerstimmung innerhalb der Partei und nützten sie für ihre Zwecke aus. Auf diese Weise schwächten diese Genossen in starkem Maße und zum Teil bewußt den Zentralismus, die Disziplin und das Vertrauen der Mitgliedschaft zu den leitenden Instanzen der Partei.
Eine Begleiterscheinung der Abweichungen ist meist eine nicht genügende Verbindung der kommunistischen Funktionäre (in Parlamenten, Gewerkschaften, Genossenschaften, Betriebsräten usw.) mit den Organen der Partei.
Die Partei hat deshalb die Pflicht, in höchster politischer Aktivität und lebendigster Fühlung mit allen kommunistischen Funktionären in den proletarischen Organisationen und parlamentarischen Körperschaften zu bleiben und deren Arbeit einer ständigen und strengen Kontrolle zu unterziehen.
In ihrem weiteren Kampfe muß die KPD auch noch eine Reihe von Mängeln und Schwächen überwinden, die in dem nicht genügenden Zusammenhange der politischen und organisatorischen Arbeit bestehen. In der teilweise in den Organisationen auftretenden Trennung der politischen Arbeit der Partei von der Aufgabe des organisatorischen Aufbaues und der Einstellung, daß die organisatorische Arbeit geleistet werden kann, liegt eine Gefahr für die Geschlossenheit und Kampfkraft der Partei.
Die Gesamtpartei wird diese Abweichungen und Schwächen überwinden und immer klarer und fester zur Durchführung der auf den Weltkongressen der KI beschlossenen Taktik kommen.
Die Kommunistische Partei muß im Verlauf der Kämpfe den Massen beweisen, daß nur eine geschlossene kommunistische Führung dem Proletariat die Machteroberung sichern kann. Aus diesem Grunde ist stärkste Zentralisation und Disziplinierung, Unterdrückung einerseits aller opportunistischen und reformistischen und andererseits der angeblich linken Schwankungen innerhalb der eigenen Reihen die Vorbedingung der Mobilisierung der Massen für den Kampf um die Macht des Proletariats.
III. Der Kampf um die Arbeiterregierung
Gegenüber der Koalitionspolitik der VSPD- Führer mit der Bourgeoisie, ihrer Politik der Arbeitsgemeinschaften mit dem Unternehmertum ist die Losung der Arbeiterregierung die Losung der proletarischen Einheitsfrontbewegung, die die einzelnen Abschnitte der Kämpfe verbindet.
Die Arbeiterregierung kann nur entstehen im Verlaufe der Kämpfe der breiten Massen gegen die Bourgeoisie als Konzession der reformistischen Führer an den Kampfeswillen der Arbeiterschaft. Die Arbeiterregierung wird auch nur entstehen in einer Zeit der proletarischen Massenkämpfe, in einer Zeit, in der die Positionen der Bourgeoisie infolge ihrer Unfähigkeit, die Krise der Weltwirtschaft zu lösen, durch die Kämpfe der Arbeiterklasse stark erschüttert werden.
Die Arbeiterregierung ist weder die Diktatur des Proletariats noch ein friedlicher, parlamentarischer Aufstieg zu ihr. Sie ist ein Versuch der Arbeiterklasse, im Rahmen und vorerst mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie, gestützt auf proletarische Organe und proletarische Massenbewegungen, Arbeiterpolitik zu treiben, während die proletarische Diktatur bewußt den Rahmen der Demokratie sprengt, den demokratischen Staatsapparat zerschlägt, um ihn völlig durch proletarische Klassenorgane zu ersetzen.
Die Arbeiterregierung ist eine Regierung von Arbeiterparteien, die den Versuch macht, gegenüber der Bourgeoisie eine proletarische Politik zu treiben durch Abwälzung aller Lasten auf die besitzende Klasse, während die bisherige Koalitionspolitik der SPD zur Abwälzung aller Lasten auf die Arbeiterklasse geführt hat. Eine solche Arbeiterregierung kann aber nur proletarische Politik treiben und das Programm der proletarischen Einheitsfront verwirklichen, wenn sie sich auf die breiten Massen der Arbeiterschaft und ihre Organe stützt, die aus der Einheitsfrontbewegung entstehen (Betriebsräte, Kontrollausschüsse, Arbeiterräte usw.), sowie auf die bewaffnete Arbeiterschaft.
Auch ein parlamentarischer Wahlsieg der Arbeiterparteien kann den Anlaß zur Bildung einer Arbeiterregierung geben, wenn durch die Verschärfung des Gegensatzes zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie starke Massenbewegungen im Gange sind Eine parlamentarische Arbeitermehrheit ist keine ausschlaggebende Kraft zur Sicherung einer Arbeiterregierung, denn deren Voraussetzung bildet in jedem Falle die kampfbereite proletarische Einheitsfront. Die Existenz der Arbeiterregierung erfordert die Niederkämpfung der Gegenrevolution, der der Produktionssabotage sowie des gesamten Widerstandes der Bourgeoisie gegen die Arbeiterregierung und ihr Programm. Deshalb ist die Arbeiterregierung keine "vereinfachte Revolution" oder "Ersatzdiktatur", die den Widerstand des Bürgertums mildert und deshalb für die Reformisten annehmbar ist, sondern eine Periode des heftigsten Kampfes des Proletariats gegen die Bourgeoisie, die freiwillig keinen Fußbreit Boden abtreten wird.
In diesen Kämpfen zur Überwindung der Widerstände der Bourgeoisie wird die Arbeiterregierung gezwungen werden, den Rahmen der Demokratie zu überschreiten, zu diktatorischen Maßnahmen überzugehen, und alle geschichtliche Erfahrung der Klassenkämpfe lehrt, daß die Widerstände der Bourgeoisie nur mit Gewalt gebrochen werden können. Der Verlauf dieser Kämpfe muß zur Sprengung der demokratischen Verfassung, zur proletarischen Diktatur führen, wenn die Arbeiterklasse nicht unterliegen will. Die Kommunistische Partei sagt deshalb den Massen, daß die Arbeiterregierung die Vorbereitung des Proletariats zu schärfsten Kämpfen bis zum Bürgerkrieg erfordert, der der Arbeiterschaft von der Bourgeoisie in jedem Augenblick gespannter Klassengegensätze durch ihre wirtschaftliche Sabotage und ihre legalen und illegalen, nationalen und internationalen Organisationen der bewaffneten Gegenrevolution aufgezwungen wird.
Die Kommunistische Partei stellt die Arbeiterregierung als einzige Regierung, die in der gegenwärtigen Periode den Kampf des Proletariats für seine Existenz unterstützen kann, die allein die Interessen des Proletariats vertreten kann, ohne vor der Bourgeoisie zu kapitulieren. Schwankungen der Arbeiterregierung bei der notwendigen rücksichtslosen Politik gegen die Bourgeoisie und bei der Durchführung der vollständigen Entwaffnung des Bürgertums müssen zu ihrer Zersetzung und letzten Endes zu ihrem Zerfall und zur Stärkung der Bourgeoisie führen, wenn die Kommunistische Partei in diesem Zeitpunkt noch nicht imstande ist, die in Bewegung befindlichen Massen in den Kampf für die Diktatur des Proletariats zu führen.
Die Überwindung der Schwankungen, Mängel und Fehler der Arbeiterregierung durch gesteigerte Kämpfe der revolutionären Einheitsfront und ihrer politischen Organe, die Trennung der Arbeiter von den reformistischen Führern, ihre Loslösung von demokratischen und pazifistischen Illusionen ist Aufgabe der Kommunistischen Partei in der Periode vor und während der Arbeiterregierung.
Die Kommunisten dürfen keinen Augenblick ihr tiefstes Mißtrauen gegen die reformistischen Führer verhüllen, die nur durch den Druck der Massen gezwungen in die Arbeiterregierung gehen und inner- und außerhalb der Regierung versuchen werden, dem Kampf mit der besitzenden Klasse auszuweichen und auf diese Weise die Arbeiterregierung zu untergraben.
Die Beteiligung an der Arbeiterregierung bedeutet für die Kommunistische Partei kein Abkommen auf Kosten der revolutionären Ziele des Proletariats, keinen Trick oder [kein] taktisches Manöver, sondern die er[n]ste Bereitschaft zum gemeinsamen Kampfe mit den reformistischen Arbeiterparteien, wenn sie ihren Willen klar zeigen, sich vom Bürgertum zu trennen und mit den Kommunisten den Kampf für die Tagesforderungen des Proletariats aufzunehmen.
Die Kommunistische Partei muß beim Eintreten in die Arbeiterregierung Bedingungen stellen. Die wichtigsten sind die Teilnahme der Organe der proletarischen Einheitsfront an der Gesetzgebung (Beratung und Durchführung) und die Bewaffnung der Arbeiterschaft. Für die Beteiligung der Kommunistischen Partei an einer Arbeiterregierung sind jedoch nicht die Versprechungen der reformistischen Führer entscheidend, sondern die Einschätzung der allgemeinen politischen Lage, das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat, die Kampfbereitschaft der proletarischen Massen, das Vorhandensein eigener Klassenorgane, die Widerstandskraft die Widerstandskraft der reformistischen Bürokratie und in erster Linie die Fähigkeit der Kommunistischen Partei, die Massen zum Kampfe für ihre Forderungen zu führen.
Der Kampf für die Arbeiterregierung darf die Propaganda der Kommunisten für die Diktatur des Proletariats nicht schwächen; denn die Arbeiterregierung wie jede Position des Proletariats im Rahmen des bürgerlichen demokratischen Staates ist nur ein Stützpunkt, eine Etappe des Proletariats in seinem Kampfe um die politische Alleinherrschaft. Die Arbeiterregierung ist keine unbedingt notwendige, aber eine mögliche Etappe in dem Kampfe um die politische Macht.
Die Kommunistische Partei muß im Verlaufe der Kämpfe den Massen beweisen, daß nur geschlossene kommunistische Führung dem Proletariat die Machteroberung sichern kann. Aus diesem Grunde ist stärkste Zentralisation und Disziplin, Unterdrückung einerseits aller opportunistischen, reformistischen und andererseits scheinradikalen Schwankungen innerhalb der eigenen Reihen die Vorbedingung des siegreichen Kampfes um die Macht des Proletariats.
IV. Landesarbeiterregierungen
In Deutschland hat die Novemberrevolution die geschichtlich gewordene Zerklüftung des Landes in Einzelstaaten nicht beseitigt. Erst die proletarische Revolution wird die reaktionäre Kleinstaaterei beseitigen und in Deutschland eine wirtschaftlich und politisch einheitlich regierte Republik schaffen.
Ebenso wie die KPD die Interessen der arbeitenden Massen in der Kommune vertritt, ebenso energisch verficht sie diese gegenüber den Landesregierungen.
Die soziale Gliederung der Bevölkerung verschiedener Einzelstaaten hat der Arbeiterklasse eine Mehrheit in den Landesparlamenten ermöglicht. Diese Tatsache führt zur Bildung sozialdemokratischer Landesregierungen mit Unterstützung der KPD. Die sozialdemokratischen Landesregierungen beschränken sich auf kleinbürgerliche Reformpolitik. Die Furcht vor der Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die Reaktion macht diese Regierungen zu gefügigen Werkzeugen der Offensive des Kapitals. Die KPD muß durch ihre tägliche praktische Politik im Interesse des Proletariats die Arbeiterklasse von dem objektiv reaktionären Charakter der sozialdemokratischen Regierungen überzeugen. In ihrer Propaganda unter den Massen muß die KPD die Bildung einer Landesarbeiterregierung fordern.
Landesarbeiterregierungen können nur entstehen in zugespitzten politischen Situationen, in denen der Druck der Massen so stark ist, daß ein Teil der sozialdemokratischen Führer veranlaßt wird, sich auf den Boden einer proletarischen Klassenpolitik zu stellen.
Die Landesarbeiterregierung ist eine Regierung von Sozialdemokraten und Kommunisten, die sich stützt auf die proletarischen Klassenorgane. Die politische Stütze dieser Arbeiterregierung ist nicht das bürgerliche Parlament, sondern [sind] die außerparlamentarischen Klassenorgane.
Die KPD beteiligt sich an den Landesregierungen, um sie zu Stützpunkten im Kampfe um die Arbeiterregierung im Reiche auszubauen. Der Kampf gegen die reaktionäre Reichspolitik, die Bewaffnung der Arbeiter, die Übergabe aller Machtmittel (Polizei, Verwaltung, Justiz, Schule) an das Proletariat, die Sicherung aller sozialen Positionen sowie die ausreichende Ernährung, Bekleidung und Behausung der arbeitenden Klasse zu Lasten der Besitzenden sind die wichtigsten unmittelbaren Aufgaben einer Landesregierung. Die Landesarbeiterregierungen müssen untereinander in engste Verbindung treten und einen Roten Block gegen die kapitalistische Reichsregierung (rein bürgerliche oder bürgerlich-sozialdemokratische Koalitionsregierung) bilden.
Eine Landesarbeiterregierung muß den ihr durch die Reichsgesetzgebung und die Reichsgewalt gezogenen Rahmen restlos und rücksichtslos für die proletarischen Klasseninteressen ausnützen und mit aller Kraft erweitern, was zu Konflikten der Landesarbeiterregierung mit der kapitalistischen Reichsregierung führen kann.
Im Verlauf der unvermeidlichen Kämpfe mit der Bourgeoisie wird die sozialdemokratische Führerschaft eine Verständigung mit dem Gegner suchen. Diese Verständigung kann nur erfolgen um den Preis des Verrats der arbeitenden Massen. Damit enthüllt sich die Sozialdemokratie als konterrevolutionär und fördert wider ihren Willen die Loslösung der sozialdemokratischen Arbeiter vom Einfluß der reformistischen Führerschaft und ihre Gewinnung für den rücksichtslosen Kampf gegen die Bourgeoisie.
Die Beteiligung der KPD an einer Landesarbeiterregierung, ohne Bedingungen an die SPD zu stellen, ohne genügend starke Massenbewegung und ohne ausreichende außerparlamentarische Stützpunkte, kann die Idee der Arbeiterregierung kompromittieren und die Reihen der eigenen Partei zersetzen.
Die Vertreter der KPD in den Landesarbeiterregierungen sind den Beschlüssen der Partei unterworfen. Sie müssen in engster Fühlung mit der Organisation stehen und zu jeder weittragenden Entscheidung die Zustimmung der Zentrale einholen.
Ist die KPD an einer Landesarbeiterregierung beteiligt, dann muß die Partei die Arbeiterschaft des gesamten Reiches für die rücksichtslose Unterstützung dieser Regierung mobilisieren und damit dem Kampf um die Arbeiterregierung im Reiche die breiteste Basis geben.
Nur in steigenden Massenkämpfen, bei einer verschärften Krise im ganzen Reiche können Arbeiterregierungen in den Ländern die Zusammenschweißung der proletarischen Einheitsfront beschleunigen, das Selbstbewußtsein des Proletariats steigern und dadurch die endgültige Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse vorbereiten.
Notes
[1]. [321ignition] Die Annotationen werden von uns unter Berücksichtigung etwaiger in der Quelle vorhandener Hinweise formuliert.
[2]. Im April 1921 wird Paul Levi, der seit der Gründung der KPD deren Führung angehörte, wegen schwerer Verletzung der Disziplin aus der Partei ausgeschlossen. Ende September findet die Bildung der “Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft” (KAG) statt, auf Initiative insbesondere von Levi und anderen ehemaligen Parteimitgliedern. Diese sind alle Abgeordnete in der Nationalversammlung. Im Laufe der folgenden Monate schließen sich ihnen weitere Abgeordnete an, so dass sie die Zahl von 15 erreichen, während die KPD, auf 11 Abgeordnete beschränkt, den Status als Gruppe in der Nationalversammlung verliert. Gleichlaufend dazu unterhalten Mitglieder der KPD enge Beziehungen zur KAG. Eine Tagung des Zentralausschusses der KPD vom 22‑23 Januar 1922 beschließt den Ausschluss der Anhänger der KAG aus der Partei. Die Gruppe der Betroffenen geht zunächst zur KAG über, deren Mitglieder dann in den folgenden Monaten in überwiegender Mehrheit der USPD beitreten.
[3]. Walther Rathenau.
1883 gründet sein Vater die Deutsche Edison-Gesellschaft, die 1887 in Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) umbenannt wird. 1904 tritt er in den Aufsichtsrat der AEG ein, dessen Vorsitzender er 1912 wird. 1919 beteiligt er sich an der Gründung der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Von Mai bis Oktober 1921 bekleidet er den Posten des Ministers für Wiederaufbau; dabei tritt er von allen Unternehmerfunktionen zurück. In der Frage der Reparationen tritt er für eine “Erfüllungspolitik” ein. Danach, im Februar 1922 wird er zum Außenminister ernannt. Im April schließt er den Rapallo-Vertrag mit Sowjetrussland ab. Am 24. Juni wird er von Rechtsextremisten ermordet.
[4]. Im April 1917 wird von ehemaligen Mitgliedern der SPD ein Parteitag zur Gründung der “Unabhängigen Sozialdemokratische Partei Deutschlands” (USPD) abgehalten. Zur Unterscheidung von dieser Partei wird danach die SPD als Mehrheits-Sozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD) bezeichnet. Im Dezember 1920 findet eine Vereinigung der KPD mit dem linken Flügel der USPD durch Abhaltung eines gemeinsamen Parteitages statt. Der Rest der USPD schließt sich im September 1922 im Zuge eines gemeinsamen Parteitages mit der SPD wieder dieser letzteren an; einige Zeit lang wird danach die Bezeichnung “Vereinigte sozialdemokratische Partei Deutschlands” (VSPD) gebraucht.
[5]. Am 24. Juni 1922, wenige Stunden nach dem Bekanntwerden der Ermordung Walther Rathenaus, richtete die Zentrale der KPD ein Schreiben an die Leitungen der SPD und der USPD, in dem sie eine Zusammenkunft der Leitungen der drei Parteien vorschlug, um Maßnahmen zum gemeinsamen Kampf festzulegen. Angesichts der Kampfbereitschaft der Werktätigen erklärten sich die Leitungen der SPD und der USPD zu Verhandlungen mit der KPD bereit. Die erste Zusammenkunft fand noch am selben Tag statt. Die Forderungen der KPD wurden von den Vertretern der SPD als "teilweise undiskutierbar" abgelehnt. Es wurde jedoch beschlossen, einen gemeinsamen Aufruf zu einer Protestdemonstration am 25. Juni unter der Losung: "Schützt die Republik!" zu erlassen. Weitere Aktionen sollten in gemeinsamen Beratungen unter Hinzuziehung von Vertretern des ADGB und des AfA-Bundes festgelegt werden. Diesbezügliche Verhandlungen führten zu dem als "Berliner Abkommen" bezeichneten Aufruf des ADGB, des AfA-Bundes, der SPD, der USPD und der KPD vom 27. Juni mit gemeinsamen Forderungen an die Reichsregierung und den Reichstag als Grundlage für ein Gesetz zum Schutz der Republik.
[6]. Diese Verhandlungen führen später, am 10. Oktober 1923, zur Bildung einer Landesregierung in Sachsen, der unter dem Ministerpräsidenten Erich Zeigner (SPD) zwei Vertreter der KPD als Minister angehören. Siehe dazu das vom Landesvorstand Sachsen der KPD formulierte Programm zur Bildung einer sozialdemokratisch-kommunistischen Regierung in Sachsen, vom 29. September 1923 (►). Am 16. Oktober wird in Thüringen ebenfalls eine Landesregierung gebildet, der unter dem Ministerpräsidenten August Frölich (SPD) zwei Vertreter der KPD als Minister angehören. Siehe dazu das von der Bezirksleitung Groß-Thüringen der KPD formulierte Programm zur Bildung einer Arbeiter- und Kleinbauern-Regierung in Thüringen, vom 11. September 1923 (►).